Zeitsysteme

Wahre Sonnenzeit

Unsere Tageszeit richtet sich im wesentlichen nach dem Sonnenlauf: Wenn die Sonne im Süden kulminiert, ist es 12 Uhr mittags. So sagt die Sonnenuhr nach „wahrer Sonnenzeit“.

Mittlere Sonnenzeit

Diese wahre Sonnenzeit ist unpraktisch, weil sie unregelmäßig verläuft. Da die Bahn der Erde um die Sonne eine Ellipse ist, die mit nicht gleichförmiger Geschwindigkeit durchlaufen wird, ist auch die Zeitdauer von einer Sonnenkulmination zur nächsten nicht immer gleich lang sondern ändert sich von Tag zu Tag. Man hat daher die „mittlere Sonnenzeit“ errechnet aus dem Durchschnitt der Tageslängen übers Jahr. Diese „mittleren Sonnentage“ dauern immer gleich lang. Das hatte dann aber zur Folge, dass die Sonne nicht mehr genau um 12 Uhr mittags im Süden steht sondern bis zu einer Viertelstunde vorher oder nachher (dies wird durch die „Zeitgleichung“ genauer beschrieben).

Leider ist die „mittlere Sonnenzeit“ über lange Zeiträume dann doch nicht konstant: Es macht einen Unterschied, ob man bei der Durchschnittsberechnung die Tageslängen von 1800 bis 1899 oder die Tageslängen von 1900 bis 1999 nimmt – die Erdrotation wird im Laufe der Zeit langsamer.

Zonenzeiten MEZ, WEZ,…

Die mittlere Sonnenzeit ist außerdem eine Ortszeit, d.h. wenn es in Berlin 12 Uhr mittags ist, ist es in Köln erst 11:50 Uhr, weil die Sonne in Köln später kulminiert als im östlicher gelegenen Berlin. Weil das – nicht erst aus Fahrplangründen – unpraktisch ist, hat man sich darauf geeinigt, eine Zonenzeit einzuführen, für Deutschland und die anderen mitteleuropäischen Länder gilt die „Mitteleuropäische Zeit“ (MEZ) = Central European Time (CET). Diese Zeit orientiert sich am Meridian 15° östlicher Länge, der etwas östlich der Oder (Stettin – Frankfurt/Oder) durch Polen verläuft. Dort kulminiert die Sonne stets ungefähr um 12 h mittags – die Zonenzeit stimmt hier also am besten mit der örtlichen Sonnenzeit überein. Westlich davon (Deutschland, Frankreich,…) kulminiert die Sonne nach 12 h, in Ostpolen vor 12 h.

Eigentlich sollte die MEZ den 15° breiten Streifen zwischen 7,5° bis 22,5° ö.L. abdecken, das wäre Westgrenze Deutschland bis Ostgrenze Polen. Tatsächlich gilt die MEZ jedoch von Ostpolen (23° ö.L.) bis Spanien (Westküste: La Coruña 9° w.L.), also über einen Bereich von 32°! Da je Längengrad die Kulmination der Sonne um 4 m später stattfindet, kulminiert die Sonne in Westspanien erst 32 x 4 m = 2 h 8 m später als in Ostpolen, nämlich durchschnittlich gegen 13:36 h MEZ, während der Sommerzeit gegen 14:36 h MESZ. Das führt dazu, dass die Schulkinder in La Coruña praktisch das ganze Jahr über im Dunklen bzw. in der Dämmerung zur Schule gehen müssen:

Datum Sonnenaufgang La Coruña Berlin
05.01. 08:54 MEZ (spätester SA) 08:16 MEZ
01.04. 08:21 MESZ 06:41 MESZ
15.04. 08:00 MESZ 06:09 MESZ
14.06. 07:11 MESZ (frühester SA) 05:43 MESZ
27.08. 08:00 MESZ 06:08 MESZ
01.11. 08:03 MEZ 07:02 MEZ

Weltzeit WZ = UT = GMT

In Portugal, England und Irland (die genauso weit westlich liegen wie La Coruña in Spanien) gilt hingegen die Westeuropäische Zeit (WEZ, WET) , die sich am Meridian (Längenkreis) 0° orientiert, der durch die Sternwarte Greenwich in London verläuft. Weil sich dieser „Nullmeridian“ von allen anderen Längenkreisen abhebt, rechneten Astronomen bald generell mit dieser Zeit, die bald als Weltzeit (WZ) oder Universal Time (UT) oder Greenwich Mean Time (GMT) anerkannt wurde.

Bis 1956 war die Sekunde als 86400ster Teil eines mittleren Erdtags definiert, wobei die Länge der Erdtage (von einer Sonnenkulmination zur nächsten) aus astronomischen Beobachtungen über 170 Jahre des 18. und 19. Jahrhunderts ermittelt wurde. Da sich aber die Erdrotation auch verändert (hauptsächlich durch Gezeitenreibung), konnte diese Definition der Sekunde über längere Zeit hinweg keinen Bestand haben.

1956 hat dann das zuständige „Bureau International des Poids et Mesures (BIPM)“ (Internationales Büro für Maße und Gewichte) beschlossen, die sehr viel konstantere Umlaufzeit der Erde um die Sonne als Basis für die Sekundenlänge zu verwenden. Es stellte sich allerdings heraus, dass diese Umlaufzeit nicht genau genug gemessen werden konnte, um für eine hochpräzise Definition zu taugen. Seit 1967 ist deshalb die Sekunde an eine Resonanzfrequenz des Cäsiumatoms unter genau definierten physikalishen Bedingungen gekoppelt und besitzt damit eine hochpräzise Definition („SI-Sekunde“).

Universal Time Coordinated = UTC

Gemessen wird die Zeit am genauesten durch Atomuhren, wovon es ca. 250 maßgebliche Uhren auf der Welt gibt, eine davon in der Physikalisch Technischen Bundesanstalt (PTB) in Braunschweig. Da auch die Atomuhren kleine Gangungenauigkeiten aufweisen, stimmen sich die Betreiber dieser Atomuhren von Zeit zu Zeit ab, welche Zeitmessung denn als „offizielle Atomuhrzeit“ gelten soll, und auf diesem Ergebnis beruht die UTC = Universal Time Coordinated (koordnierte, abgestimmte Weltzeit), die also an Stelle der guten, alten Greenwich Mean Time (GMT) getreten ist. Alle anderen Zonenzeiten in der Welt beziehen sich heute auf diese UTC, indem sie eine oder mehrere Stunden zu der UTC addieren bzw. von ihr subtrahieren.

Nun richtet sich die Sonnenkulmination, d.h. die Erdrotation, aber leider nicht nach der UTC sondern nach Naturgesetzen. Deshalb beobachten die Astronomen weiterhin sehr genau die Kulmination der Sonne und ermitteln auf diese Weise die auf der Erdrotation beruhende Zeit UT1. Immer dann, wenn die Abweichung zwischen UTC und UT1 größer als 0,9 Sekunden wird, wird eine „Schaltsekunde“ eingefügt und so die UTC wieder an die wahre Erdrotation angepasst. Die Festlegung, ob eine Schaltsekunde eingefügt wird, trifft der „International Earth Rotation and Reference Systems Service (IERS)“. Zuletzt erfolgte dies zwischen dem 30. Juni 2015 und dem 1. Juli 2015.

Schaltsekunden werden entweder Ende Dezember oder Ende Juni eingefügt. Das bedeutet, dass nach Ablauf des letzten Monatstages mit 24 Stunden = 86400 Sekunden die Zeitzählung für die Dauer einer Sekunde angehalten wird und nach Ende dieser Sekunde der nächste Tag wieder mit 00:00:00 Uhr beginnt. Seit Einführung der UTC hat es bisher 25 Schaltsekunden gegeben – wer vor 1972 geboren wurde, ist also in Wirklichkeit 25 Sekunden älter als es sein rechnerisches Lebensalter angibt.

Atomzeit TAI

Weil die Schaltsekunden die Zeitzählung der UTC und der daran gekoppelten Zonenzeiten aber unregelmäßig machen (sie werden ja im Zeitablauf ja nicht mitgezählt), würde dies bei genauen Berechnungen zu Fehlern führen. Schließlich beträgt der Zeitfehler inzwschen 25 Sekunden! Deshalb wird als Basiszeit die „International Atomic Time (TAI)“ gezählt, die auch die Schaltsekunden mitzählt und Grundlage für die Festlegung der UTC ist. Diese Zeitzählung stimmt mit der UTC überein bis auf die Schaltsekunden und den Unterschied, der sich vor Einführung der Schaltsekunden bereits angesammelt hatte. Die TAI stimmt nämlich für den 1. Januar 1958 mit der UT1 (basierend auf wahrer Sonnenkulmination) überein und zählt die seitdem verstrichenen Sekunden nach (koordinierter) Atomzeit. Die TAI ist daher gegenüber der UTC um 35 Sekunden voraus (sie zählt ja im Gegensatz zur UTC die 25 Schaltsekunden mit, und zwischen 1958 und 1972 hatten sich bereits 10 weitere Sekunden angesammelt).

GPS Zeit

Am 6. Januar 1980 wurde das Global Positioning System (GPS) eingeführt, für das die Unregelmäßigkeiten der Schaltsekunde ebenfalls zu Fehlern führen würde. Die satellitengestützte Berechnung von Orten auf der Erdoberfläche nutzt deshalb die „GPS-Zeit“, die genauso gleichmäßig gezählt wird wie die TAI. Weil die GPS-Zeit aber am 6. Januar 1980 zu zählen begann, läuft die GPS-Zeit der UTC seit dem 1. Juli 2015 um 16 Sekunden voraus – weil es seit Beginn der GPS-Zeit 16 Schaltsekunden gegeben hat, die in der UTC nicht gezählt werden, wohl aber in der GPS-Zeit.

Daraus ergibt sich, dass die TAI-Zeit der GPS-Zeit um 19 Sekunden voraus läuft. Da beide Zeitzählungen keine Schaltsekunden kennen sondern diese in beiden Zeitsystemen mitgezählt werden, bleibt dieser Unterschied von 19 Sekunden konstant. Aus diesem Grund wurde auch schon angeregt, beide Zeitzählungen zusammen zu führen, was aber zu erheblichem technischen Aufwand führen würde: Das GPS-System und alle damit arbeitenden Software umzuprogrammieren ist genauso aufwändig, teuer und vor allem fehleranfällig wie die Anpassung aller Software, die mit der TAI rechnet, z.B. astronomische und Raumfahrt-Software.

Andererseits besteht natürlich die Gefahr, beide Zeitsysteme zu verwechseln. Eine solche Verwechslung könnte insbesondere in Navigationssystemen, etwa für Flugzeuge oder Raumfahrzeuge, fatale Folgen haben. Derzeit deutet aber trotzdem alles darauf hin, dass es bei der parallelen Verwendung von TAI-Zeit und GPS-Zeit bleiben wird.

Das neue, europäische Navigationssystem Galileo wird kein neues Zeitsystem einführen, es versteht sich auch ausdrücklich nicht als Konkurrenz sondern als Ergänzung zum GPS und wird GPS-kompatibel arbeiten. Der erste Galileo Satellit GIOVE-A beherbergt bereits die zwei genauest laufenden Atomuhren, die sich bisher im Weltraum befinden. Mit Galileo sollen einmal Ortsbestimmungen auf jedem Punkt der Erde mit einer Genauigkeit von wenigen Metern möglich werden. Das ist mindestens doppelt so genau wie mit GPS (Genauigkeit 15 m).

Ephemeridenzeit

In der Astronomie war der Bedarf an einem möglichst gleichförmigen Zeitmaß schon immer groß, um Ereignisse zuverlässig über lange Zeitperioden hinweg berechnen zu können.

1960 wurde für astronomische Rechnungen die Ephemeridenzeit (ET) eingeführt, auf deren Basis die Ephemeriden (Tabellen über Zeitpunkte astronomischer Ereignisse) vorausberechnet wurden. Als Ephemeridensekunde diente noch der 31.556.925,9747ste Teil des Tropischen Jahres, bezogen auf das Anfangdatum 0.1.1900 12:00 UT. Zu diesem Zeitpunkt stimmten UT und ET fast überein. Die Abweichung der Ephemeridenzeit von anderen Zeitsystemen konnte zwar mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit vorhergesagt werden, konnte aber anhand astronomischer Messungen stets nur nachträglich bestimmt werden.

Nachdem mit den Atomuhren hochpräzise Zeitmesser zur Verfügung standen, stellte sich jedoch auch bald heraus, dass relativistische Effekte die tatsächliche Zeitmessung auch mit den Atomuhren beeinflusste: Bewegte Uhren gehen langsamer, ebenso Uhren im Einfluss eines Schwerefeldes als vergleichbare Uhren, die sich in Ruhe befinden oder weit entfernt von der Schwerkraftwirkung einer großen Masse.

Dynamische Zeit TDT und TDB

Sowohl die Revolutionsgeschwindigkeit der Erde von ca. 29,8 km/s als auch die Rotationsgeschwindigkeit der Erde sowie die Massen der Erde, des Mondes und der Sonne beeinflussen die Zeitmessung mit Atomuhren. Um ein von diesen – schwankenden – Effekten freies Zeitmaß zu haben, wurde die Dynamische Zeit (TD) definiert, die diese relativistischen Effekte eliminiert.

Es gibt 2 Dynamische Zeitsysteme. Die TDT (Terrestrial Dynamical Time) bezieht sich auf den Erdmittelpunkt und eliminiert so die relativistischen Effekte der Erdrotation und des Gravitationsfeldes der Erde. Damit diese TDT nahtlos an die bis dahin verwendete Ephemeridenzeit anschließt, hat die IAU (International Astronomical Union) 1977 beschlossen, dass die TAI-Zeit 0:00 h des 01.01.1977 der TDT-Zeit 0:00:32,184 h des 01.01.1977 entspricht. Zeiteinheit der TDT-Zeit ist dieselbe SI-Sekunde wie die der Atomzeit TAI.

Trotzdem könnten beide Zeiten einmal auseinander laufen, weil die TAI auf der tatsächlichen Zeitzählung durch Atomuhren beruht, bei der systematische Fehler auftreten könnten, die TDT ist hingegen eine ideal gleichförmig verlaufende Zeit. Bisher existieren allerdings noch keine Hinweise auf ein mögliches Auseinanderlaufen der beiden Zeitsysteme.

Die TDB (Barycentric Dynamical Time) bezieht sich als zweite Dynamische Zeit auf den Mittelpunkt des Sonnensystems (Baryzentrum). Diese Zeit eliminiert auch die relativistischen Effekte aus der Erdrevolution sowie der Gravitationswirkung von Sonne, Mond und den anderen Planeten. Die IAU hat beschlossen, die TDB auf Basis der TDT zu berechnen und dabei die nur periodische Terme zu berücksichtigen (Einflüsse der Sonnen-, Erd-, Mond- und Planetenbewegung sowie der Bewegung des Baryzentrums), und zwar unter Annahme der Gültigkeit der Einsteinschen Relativitätstheorien.

Aus dieser Festlegung ergeben sich Abweichungen zwischen TDT und TDB von weniger als 5 Millisekunden, die in den meisten Anwendungen vernachlässigbar ist.

Da die TDT um 32,184 Sekunden der TAI vorausläuft, die TAI aber seit 1.1.2006 der UTC um 33 Sekunden voraus läuft, unterscheidet sich die TDT von der UTC um inzwischen 1 Minute und 5,184 Sekunden. Das ist eine Größenordnung, die auch bei astronomischen Amateurbeobachtungen schon eine Rolle spielt, z.B. bei der Beobachtung vorausberechneter Sternbedeckungen. Deshalb muss etwa bei Astrokalendern durchaus berücksichtigt werden, in welchem Zeitsystem die Angaben gemacht werden.